
Noir
Rowohlt
1. Auflage, 2012
Broschiert
Seiten: 377
ISBN:978-3-86252-028-2
Inhalt
Nino Sorokin ist dabei, als der Unfall geschieht. Seine Eltern sterben, ihm bleibt eine besondere Gabe: Er sieht den Tod eines jeden Menschen voraus. Auch den eigenen.
Von nun an ist er besessen von der Frage, wie man das Schicksal überlisten kann. Er weiß, er wird nur vierundzwanzig Jahre alt – und sein Geburtstag rückt immer näher. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt.
Ninos Suche führt ihn zu einem geheimen Zirkel von Mentoren, die Seelen sammeln. Und er begeht den größten Frevel, den der Zirkel kennt: Er verliebt sich in eine der Seelenlosen. In die geheimnisvolle Noir, die bereits auf der Schwelle zum Jenseits steht.
Meine Meinung
Es gibt Bücher, deren Handlung sich vor dem Leser ausrollt wie ein weicher Teppich, sodass man nur noch darüberwandern und alle Geschehnisse in sich aufsaugen muss, völlig klar und offensichtlich. Und es gibt Bücher, die den Leser in ein Labyrinth aus Unklarheiten und Fragen führen, immer tiefer hinein, bis man sich am Ende fragt, ob man wirklich den richtigen Ausgang gefunden oder gedanklich einen völlig falschen Weg eingeschlagen hat.
Während Jenny-Mai Nuyens Fantasy-Jugendromane eher in die erste Kategorie gehören, hat sie mit »Noir« das Gegenteil geschaffen. Ich muss sagen, dass mir »Noir« gut gefallen hat – auch wenn ich nicht sicher bin, wie ich den Roman verstehen soll.
»Nino glaubte einen Schwarm Fische zu sehen, der aus einem Haus an der Kreuzung weiter vorne ausbrach. Doch es waren keine Fische. Es war ein Regen blitzender Scherben.«
Bevor ich mir das Buch kaufte, hatte ich viele Rezensionen gelesen, die zum Großteil eher mittelmäßig bis negativ ausfielen. Aus dem Grund ging ich nicht mit der gleichen Erwartung an das Buch, die ich bei einem neuen Fantasyroman gehabt hätte, und das war auch gut so. Denn »Noir« ist kein Jugendbuch mehr, sondern viel mehr ein verworrener
Erwachsenenroman in den Häuserschluchten Berlins, den man kurz mit »Drogen, Sex und Gläserrücken« überschreiben könnte. Das einzige, was noch an Jenny-Mai Nuyens Fantasybücher erinnert, ist der gewohnt gute Schreibstil, der die durchgehend sehr düstere und hektische Atmosphäre in Worte fasst.
»Seine Mutter schrie. Sein Vater riss das Lenkrad herum, Arme und Beine schlugen mit bösartigem Krachen auf die Heckscheibe. Ein blutiges Gesicht zertrümmerte die Scheibe. Seine Eltern zersprangen in Glassplitter und Farbspritzer und reifenquietschenden, zähnefletschenden Schmerz.«
Als Leser wird man bei »Noir« nur sehr langsam in die Geschehnisse und Hintergründe der Handlung eingeführt. Die Erzählung wechselt zwischen sehr kurzen, kryptischen Jetzt-Kapiteln (mit denen man zu Beginn gar nichts anfangen kann, die man aber dennoch aufmerksam lesen sollte, da sie sich gegen Ende in das Handlungspuzzle einfügen) und den »normalen« Kapiteln in der Vergangenheit, die langsam aufdecken, wie es zu diesem Jetzt gekommen ist. Wirklich spannend wird die Geschichte erst gegen Ende, wenn sich die Ereignisse überschlagen und die beiden Handlungsstränge zueinander finden.
Der Klappentext sagt dabei meiner Meinung nach eher wenig über das Buch aus. Ninos Gabe, den Tod anderer Menschen zu sehen, wird kaum thematisiert. Ihm geht es nur um seinen eigenen Tod und wie er diesen verhindern kann. Ansonsten findet eine weitere Gabe viel mehr Anwendung – Nino kann nämlich auch noch die Gedanken anderer Leute manipulieren, sodass er ihre Handlungen beeinflussen und steuern kann.
So stolpert Nino – besessen von der Suche nach einer Möglichkeit, seinen eigenen Tod zu verhindern – von einem düsteren Szenario zum nächsten, von sektenartigen Großveranstaltungen mit Gläserrücken zur privaten Séance mit seinen Freunden. Eins haben sie jedoch gemeinsam: die Droge STYX, die bei allen Gelegenheiten reichlich zum Einsatz kommt. So gerät Nino an den mysteriösen Monsieur Samedi, der ihm erzählt, dass er Nino mithilfe einer Seelentransplantation retten könne. Außerdem trifft Nino bei ihm auf Noir, in die er sich Hals über Kopf verliebt. Doch Noir ist nicht, was sie zu sein scheint. Sie ist eine Seelenlose, abhänging von Monsieur Samedi und ohne ihn und seine »Liebe« nicht lebensfähig.
»Wenn deine Liebe ins Nichts geht, dann wird aus dem Nichts ich. Ich werde so viel sein, wie du mich liebst.«
Nino will Noir retten, beide fliehen nach Paris. Doch um am Leben zu bleiben – oder viel mehr wieder ins Leben zurückzufinden – braucht Noir nun Ninos Liebe. Das war für mich der Punkt, der mich gestört hat. Denn diese »Liebe« zeigt sich nur dadurch, dass Nino ständig mit Noir schlafen muss. Was Nino für Noir empfindet, war für mich nicht nachvollziehbar. Auch hier allgegenwärtig: das STYX.
Das Ende des Romans lässt sehr viel Raum für Interpretationen. Wird Nino von seinem Schicksal eingeholt und kann seinem Tod nur mithilfe von Noir ein zweites Mal entgehen, die er zuvor noch in die Realität zurückgeholt hat? Oder war die ganze Geschichte, all die unvorstellbaren und mysteriösen Geschehnisse, nur das zusammenfantasierte Resultat eines langen Drogentripps?
Vermutlich muss man das Buch mehr als einmal lesen, um es zu verstehen. Vielleicht ist eine eindeutige Antwort aber auch gar nicht gewollt.
Fazit
Ein verworrener und verwirrender Roman, der dem Leser viel Spielraum zur Interpretation lässt.
Grüß Dich, Moena.
Mich ließ ja ein Aspekt aufmerken.
Nino verliebt sich in eine seelenlose Noir. Ergibt sich für mich die Frage, wie ihm dies möglich ist. Schließlich dürfte ihr doch menschlich etwas mehr fehlen, als nur das Etikett mit dem Wort "Seele" darauf. 🙂
Gut, es kommt darauf an wie die Autorin "Seele" hier definiert hat.
bonté
Hmm, in der Tat eine Sache, über die man nachdenken könnte. Insgesamt ist die "Liebe" der beiden aber sowieso sehr, hmm, körperfixiert? Böse Zungen könnten behaupten, dass es dafür gar keine Seele braucht … 😉
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