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[REZENSION] Luca Di Fulvio: »Der Junge, der Träume schenkte«


Luca Di Fulvio
Der Junge, der Träume schenkte

Originaltitel: La Gang dei Sogni
Bastei Lübbe
1. Auflage, Dezember 2011
EPUB
Seiten: 598
ISBN: 978-3-8387-1759-3

Inhalt
New York, 1909: Aus einem transatlantischen Frachter steigt eine junge Frau mit ihrem Baby. Sie kommen aus dem tiefsten Süden Italiens – mit dem Traum von einem besseren Leben in Amerika. Doch in der von Armut, Elend und Kriminalität gezeichneten Lower East Side gelten die gnadenlosen Gesetze der Gangs. Nur wer über ausreichend Robustheit und Durchsetzungskraft verfügt, kann sich hier behaupten. So wie der junge Natale, der mit seinem Charisma und seinen Geschichten die Menschen zu verzaubern vermag.
Meine Meinung
Vom Klappentext und dem Cover dieses Buches möchte man eine zu Herzen gehende Geschichte um einen kleinen Jungen erwarten, der die Menschen auf der Straße in seinen Bann zieht und damit alles zum Guten wendet. Im Grunde genommen ist das auch nicht ganz falsch – aber es ist eben nur ein kleiner Teil des ganzen Buches.

»›Ich kann Geschichten erzählen. Das ist das Einzige, worin ich wirklich gut bin‹, sagte Christmas und fand sein Lächeln wieder. Zugleich wusste er, dass er bei einem Blick in den Spiegel auch den Ausdruck in seinen Augen wiedergefunden hätte, der Pep vor vielen Jahren als Erstes an ihm aufgefallen war. ›Geschichten, an die die Leute glauben. Die Leute träumen nämlich gern.‹«

Die Geschichte beginnt mit Cettas Vergangenheit in Italien und ihrer anschließenden Ausreise nach Amerika. Zusammen mit ihrem gerade geborenen Sohn Natale erhofft sie sich hier ein besseres Leben. Doch der Start ist schwer. Nicht nur, dass Natale bei der Einwanderung auf den Namen Christmas umgetauft wird. Die junge Cetta arbeitet fortan im Bordell, um den Lebensunterhalt in der heruntergekommenen Lower East Side zu bestreiten. Zur Seite stehen ihr nur das alte Ehepaar, mit dem sie sich die kleine Wohnung teilt, und Zuhälter Sal, zu dem sie mit der Zeit eine viel engere Beziehung entwickelt.

Ab hier erstreckt sich die Handlung des Romans über einige Jahre, in denen der Leser miterlebt, wie Christmas aufwächst und auf den Straßen allerhand Abenteuer erlebt, die mal mehr und mal weniger gefährlich sind. Er gründet eine Gang, die Diamond Dogs, die für ordentlich Aufsehen sorgt, obwohl sie nur aus zwei kleinen Jungen besteht, und knüpft dadurch sogar Kontakte in die höchsten Mafia-Kreise.
Doch sein unbeschwertes Leben ändert sich, als er ein Mädchen am Straßenrand findet, vergewaltigt, verstümmelt und weggeworfen. Es ist Ruth, die Tochter einer reichen Unternehmerfamilie und fortan Christmas’ große Liebe. Doch eine Beziehung zwischen den beiden scheint undenkbar, kommen die beiden Jugendlichen doch aus völlig verschiedenen sozialen Schichten. Als Ruth dann auch noch mit ihren Eltern die Stadt verlässt, scheint alles verloren.
Doch Christmas gibt nicht auf. Er hat nur ein Ziel: Ruth zu finden. Und dafür muss er seinen großen Traum verwirklichen und seinen Weg zum Radio finden.

»›Ich werde immer nur bis neun zählen können‹, sagte Ruth da und lachte gezwungen, voller Zynismus wie eine Erwachsene. So nämlich fühlte sie sich nun. Wie ein Mädchen, das gezwungenermaßen in einer einzigen Nacht hatte erwachsen werden müssen.
›Wäre ich dein Lehrer‹, antwortete Christmas leise, ›würde ich die Mathematik für dich neu erfinden.‹«

Der Schreibstil liest sich flüssig und relativ einfach, mit dem einen oder anderen sprachlichen Bild. Doch die niedliche, herzerweichende Geschichte sucht man hinter dem frechen Jungen auf dem Cover vergeblich, denn es kommen einige brutale Schilderungen vor und Gewalt, Vergewaltigungen und Sex spielen oft eine Rolle. Wer damit nicht umgehen kann oder will, sollte sich von diesem Buch lieber fernhalten.

Nach Ruths Vergewaltigung teilt sich die Handlung. Man erfährt abwechselnd von Christmas, Ruth und auch von Ruths Vergewaltiger Bill, wie sich ihre Lebensgeschichten im Laufe der Jahre fortsetzen. Dabei fand ich die Kapitel um Bill am spannendsten. Insgesamt hat der Roman auf seinen knapp 600 Seiten aber einige Längen und dreht sich hin und wieder im Kreis, sodass ich trotz der sympathischen Charaktere und des interessanten Settings doch recht lange brauchte, bis ich durch war und viele Seiten mehr überflogen habe.
Fazit
Ein interessanter Roman mit einigen Längen, der nicht ganz das ist, was Cover und Klappentext auf den ersten Blick versprechen.

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4 Kommentare

  1. Hallo Moena.
    Eine Story vom unteren Ende der Gesellschaften, wie sie sich seit Jahrtausenden immer zutragen. Von Menschen, die in eine Situation hineingeboren werden und damit zurecht kommen müssen. Anmerkenswert bleibt, daß sich die Einstellung eines Einzelnen nicht wirklich daraus definiert wie gut oder schlecht er lebt. Mit einem anderen mitzufühlen oder nur an den eigenen Vorteil zu denken.

    Interessant, daß sie der Roman ab besagtem Zeitpunkt auf die drei Figuren weitet.

    Neo-Realismus also und ich denke an den Klassiker 'Fahrraddiebe'.

    bonté

  2. Hallo!

    Schöne Rezension. Das Buch steht noch bei mir im Regal und ich traue mich irgendwie nicht so richtig ran. Aber nach deiner Rezension werde ich es mir gleich nochmal überlegen, ob ich das Buch nicht demnächst zur Hand nehme 🙂

    Ich werde jetzt öfter hier vorbeischauen 🙂

    Ich würde mich freuen, wenn du auch mal bei mir vorbeischaust 🙂
    Good books never end.

    Alles Liebe,
    Jule ♥

    • Das kann ich verstehen, dass man sich an das Buch nicht gleich herantraut. Es ist auch kein einfacher Roman. Stellenweise dachte ich auch, ich würde ihn nie durchkriegen, aber insgesamt fand ich das Buch dann doch ganz gut. Man muss sich halt durch ein paar Längen kämpfen, aber dafür gibt es auch umso fesselndere Teile. 🙂

      Bei dir schaue ich auch gleich mal rein! 🙂

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